Die seit 1990 an der RW-Fakultät der Universität Bayreuth existierende Forschungsstelle für Deutsches und Europäisches Lebensmittelrecht (FLMR) ist Teil des Profilfeldes „Lebensmittel- und Gesundheitswissenschaften“. Das Aufgabenfeld der FLMR und ihrer Mitglieder reicht von der wissenschaftlichen Aufarbeitung aktueller lebensmittelrechtlicher Fragen sowohl im nationalen als auch im europäischen und internationalen Kontext über Lehrveranstaltungen – etwa im Rahmen des Masterstudienganges Lebensmittel- und Gesundheitswissenschaften – bis hin zur Organisation des in Fachkreisen wohl bekannten und geschätzten FLMR-Herbstsymposiums.

Namhafte Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft, Verwaltung, Verbraucherschaft und Wirtschaft fanden sich Mitte Februar zum FLMR-Herbstsymposium pandemiebedingt im digitalen Raum zusammen und diskutierten mit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Einen zeitgemäßen und zukunftsweisenden Mix aus privater und öffentlicher Rechtsdurchsetzung konstatierte Prof. Dr. Kai Purnhagen, LL.M., dem Lebensmittelrecht und wies die oftmals reflexartigen Reaktionen aus der Politik als wenig zielführend zurück. Vielmehr, so Purnhagen, müsse punktgenau nachgesteuert werden. In der Diskussion zeigte sich die Notwendigkeit der Nachbesserung bei der Informationsgewinnung sowohl für die zivilrechtliche als auch für die behördliche Rechtsdurchsetzung.

Prof. Dr. Thomas Klindt, Rechtsanwalt in München und Honorarprofessor an der Universität Bayreuth, fokussierte in seinem Vortrag den Aspekt des Verbraucherschutzes. Er setzte sich kritisch u.a. mit dem Vorgehen des „über Bande Spielens“ von Mitbewerbern auseinander, wonach diese den Behörden Informationen zukommen lassen, um einen Anfangsverdacht zur Aufnahme von Ermittlungen zu setzen. Klindt warnte aus strukturellen Gründen vor der Übernahme des aus der amerikanischen Rechtsordnung bekannten punitive damage systems.

Der Frage, ob das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch im Lichte der neuen BVerfG-Judikatur (Recht auf Vergessen I) überhaupt noch eine wirksame Schranke behördlicher Verbraucherinformation ist, ging Prof. Dr. Florian Becker von der Universität Kiel nach. In der Diskussion spannte sich der Bogen bis hin zur derzeit brandaktuellen Problematik, dass der EuGH juristischen Personen kein Datenschutzgrundrecht zugesteht.

Esther Roffael, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht und hauptamtlich Lehrende an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl, beleuchtete akribisch die föderale Vollzugspraxis zum BVerfG-Beschluss vom 21.3.2018 zu § 40 I a LFGB und bedauerte eine gewisse Tristesse in der Entscheidungsfindung der Behörden.

Der nicht leicht abzubildenden Definition des „Verstoßes“ gegen Vorschriften des Lebensmittelrechts, der in Art. 1 Abs. 2 KontrollVO lediglich mit „Nichteinhaltung“ umrissen wird, widmete sich Prof. Dr. Markus Grube, Rechtsanwalt in Gummersbach, sodann aus verschiedenen Blickwinkeln.

Stephan Ludwig vom Landratsamt Göppingen rundete diesen Komplex mit Erfahrungen aus der behördlichen Praxis ab. In der Diskussion wurde u.a. dazu aufgerufen, dass Behörden ihren Beitrag dazu leisten müssen, die Norm des § 40 I a LFGB verfassungskonform anzuwenden.

Über das wohl für den Sommer 2021 zu erwartende 4. LFGB-Änderungsgesetz und die teilweisen Neufassungen der Kontrollvorschriften berichtete im Anschluss Dr. Christian Bobbert, BMEL, wobei er gleichermaßen detailliert auf die geplanten Änderungen etwa zur Verbesserung der Überwachung des Online-Handels und zur Verbesserung der Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln wie auch auf zu berücksichtigende nationale Besonderheiten und das Verhältnis zum Unionsrecht einging.

Ob und wie private Zertifizierungssysteme im Rahmen von behördlichen Bewertungen zu berücksichtigen sind, erklärte Dr. Edwin Ernst vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg. Der Referent hinterfragte diese Systeme u.a. im Hinblick auf ihre Aussagekraft im föderalen Umfeld, ihre Chancen und Risiken.

Schließlich stellte Robert Simon, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter der FLMR, Zeit-Temperatur-Indikatoren als ein intelligentes Element der Kennzeichnung im Kühlkettenmanagement vor. Dabei ging er auch auf mit der Nutzung solcher Indikatoren einhergehenden Haftungsfragen ein.

Der zweite Veranstaltungstag startete mit einem Vortrag von Susanne Einsiedler von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), in dem sie auf die Rechtsdurchsetzung des vzbv im Lebensmittelrecht einging und dabei einen Abriss aktueller Streitfälle vorstellte. In der Diskussion zeigte sich, dass eine Vernetzung der Behörden mit den Verbraucherzentralen zur Information über Verfahren im privatrechtlichen Bereich wünschenswert wäre.

Jürgen Gloser von der Hipp-Werk Georg Hipp OHG stellte die Herausforderungen in der Qualitätssicherung aus der Sicht eines Babynahrungsherstellers vor, wobei er u.a. auf die Probleme bei der Verwendung sog. Multiple Source Substanzen einging wie etwa die national hierfür oftmals nicht festgesetzten Höchstwerte.

Über die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln referierte Anke Kölling, Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, wobei sie einen weiten Bogen u.a. über die Leitlinien zur Rückverfolgbarkeit bis hin zur Tätigkeit der LAV-Arbeitsgruppe spannte.

Welche rechtlichen und praktischen Probleme die Nährwertkennzeichnung mittels des sog. Nutri-Score aufwirft, untersuchte Dr. Petra Alina Unland, Dr. August Oetker Nahrungsmittel KG und zeigte dabei auf, dass es insbesondere bei der Abwägung von günstigen und ungünstigen Nährstoffen zu Verzerrungen komme, weil bestimmte günstige Nährstoffe ebenso wie gefriergetrocknete Nährstoffe keine Berücksichtigung fänden und die Berechnungsarten für die Zutaten der LMIV eine andere ist als für die Angaben nach dem Nutri-Score. In der Diskussion wurde die Tauglichkeit des Nutri-Scores als Instrument der Verbraucherinformation generell in Frage gestellt.

Das Schädlingsmanagement in Lebensmittelbetrieben beleuchtete Rochus Wallau, EDEKA Südbayern Handels Stiftung & Co. KG.

Über die Bedeutung von NGOs und deren Einflussmöglichkeiten auf Gesetzgebung und Lebensmittelüberwachung diskutierten Oliver Huizinga, Foodwatch e.V., und Dr. Markus Girnau, Lebensmittelverband Deutschland e.V. Oliver Huizinga relativierte den Einfluss von Food Watch e.V. und veranschaulichte, dass der vermeintlichen Macht der NGOs zwar ein gewisser Einfluss auf die Medienberichterstattung entspreche, es allerdings nach wie vor am direkten Einfluss der Kampagnen auf exekutive oder legislative Entscheidungen fehle. Die Bedeutung von NGO-Kampagnen sei jedoch, so Dr. Markus Girnau, gerade in der öffentlichen Wahrnehmung mit Blick auf den Lebensmittelbereich in den letzten Jahren stark gestiegen. Gerade der hohe Emotionalisierungsgrad mache die Lebensmittel-Kampagnen der NGOs für die Medienberichterstattung interessant. In der sehr regen Diskussion kamen Fragen u.a. zur Transparenz der Mitgliederstruktur und Finanzierung von Food Watch e.V. auf. Auch die zum Teil missbräuchliche Nutzung der deutlich ausgeweiteten Informationsgesetze – etwa in Gestalt von „Topf Secret“ – wurde vor allem von Behördenvertretern in Hinblick auf die damit stellenweise einhergehende Lähmung der Verwaltung stark kritisiert.

Ausblick

Am 14./15. Oktober 2021 wird das 20. Bayreuther FLMR-Herbstsymposium zum Thema „Lebensmittelrecht im Mehrebenensystem: Neuerungen, Entwicklungslinien, Spannungslagen“ stattfinden. Mehr zu Programm und Anmeldung finden Interessierte ab Mitte Mai 2021 hier:

www.lmr.uni-bayreuth.de

Dr. Katja Brzezinski-HofmannGeschäftsführerin der FLMR

Forschungsstelle für Lebensmittelrecht / Lehrstuhl ÖR II
Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Universität Bayreuth
Universitätsstraße 30 / B9
95447 Bayreuth
Telefon: +49 (0) 921 / 55-3520
E-Mail: lebensmittelrecht@uni-bayreuth.de
www.lmr.uni-bayreuth.de

Webmaster: Team UBTaktuell